Jesus Jackson und die grenzlandreiter spielen Herbert Hindringer

2001 trat Herbert Hindringer erstmals mit einer Lesung seiner Gedichte öffentlich auf – zum Glück, denn damit wurde die deutschsprachige Lyrik um eine großartige Stimme reicher. Am selben Abend – einer Veranstaltung der Literaturzeitschrift „Zeitriss“ in Augsburg – stand auch die Band Jesus Jackson und die grenzlandreiter auf der Bühne. Eine folgenreiche Begegnung: In der Folgezeit schrieb Herbert Hindringer einige Songtexte speziell für die Vertonung durch Jesus Jackson und die grenzlandreiter. Für die damals erst kurz bestehende Band eine große Ehre, denn das enorme poetische Talent von Herbert Hindringer zeigt sich auch in diesen Texten – nicht zuletzt darin, dass er sogar dem Reim-Formular, das es damals auf der Website der Band gab, statt purem Nonsens das „lied in eigener sache“ abgewinnen konnte.

Dieses Mini-Album umfasst erstmals alle Songs, die die Band auf Basis von Herbert Hindringers Texten komponiert hat.

„lied in eigener sache“ und „für euch“ waren jahrelang fester Bestandteil des Live-Repertoires von Jesus Jackson und die grenzlandreiter und sind konsequenterweise auch in den Live-Aufnahmen bereits erschienen, die man hier nochmals hören kann.

Die anderen drei Songs sind Homerecordings von die grenzlandreiter. „susi / von herbert“ und „du kannst fast alles“ werden hier zum ersten Mal veröffentlicht.

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Voiceworks

„Zwischen Ambient und Wort-Loop-Zungenbrecher-Punk“ (Alexander Möckl aka Poembeat)

„A short, fun, and profound release“ (Vital Weekly)

After 30 years in poetry and 15 years in sound art, Gerald Fiebig’s »voiceworks« fuse the two strands of his artistic practice in one single release. In addition to electroacoustic compositions based on both his own voice and that of long-time collaborator Michael Herbst, Fiebig presents, for the first time ever, a collection of sound poems.

These run the gamut from nonsensical, rhythmic, yet still rather semantic spoken-word pieces to exercises in voice-based performance art in which speech is impeded by stones of increasing size being inserted into the speaker’s mouth (»Rolling the Stone of Demosthenes up the Fucking Hill«) or a fragment of speech is repeated up to the point of physical exhaustion (»echokammer vs. schreizimmer«). The track »nothing essential happens in the absence of noise« playfully references the book Noise by Jacques Attali, an important early text for the theorisation of noise. Thus, »voiceworks« also continues Gerald Fiebig’s research into the intersections of meaning and noise as well as music and noise that has informed his artistic and theoretical work at least since the release of »Pferseer Klangtrilogie« and »Phonographies« in 2013.

Interview with Gerald Fiebig

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Gerald Fiebig schreibt seit 30 Jahren Lyrik und macht seit 15 Jahren Klangkunst. Mit »voiceworks« führt er nun diese beiden Stränge seiner künstlerischen Praxis in einer einzigen Veröffentlichung zusammen.

Darauf finden sich elektroakustische Kompositionen, die auf der Stimme von Fiebig und der seines langjährigen Kooperationspartners Michael Herbst basieren. Darüber hinaus gibt es hier aber zum allerersten Mal auch eine Sammlung von Lautgedichten zu hören. Diese spannen den Bogen von rhythmischen, aber immer noch recht semantischen Spoken-Word-Nonsenstexten bis zu stimmbasierten Performances. So wird bei »Rolling the Stone of Demosthenes up the Fucking Hill« das Sprechen erschwert, indem der Sprechende immer größere Steine in den Mund nimmt; »echokammer vs. schreizimmer« wiederholt ein Textfragment bis zur körperlichen Erschöpfung der Sprechwerkzeuge.

Das Stück »nothing essential happens in the absence of noise« ist eine humorvolle Anspielung auf das Buch Noise von Jacques Attali, das ein einflussreicher Vorläufer der heutigen Theoriebildung zum Thema Noise ist. Das Konzept Noise – als Rauschen (im Unterschied zur Bedeutung) bzw. als Geräusch oder Lärm (im Unterschied zur Musik) – spielt in Gerald Fiebigs künstlerischer und theoretischer Arbeit (u.a. der Aufsatz Nichts (als) Noise unter der Sonne? – Utopien und Aporien des Noise für Testcard # 26) spätestens seit den beiden 2013 erschienenen Alben »Pferseer Klangtrilogie« und »Phonographies« eine zentrale Rolle. Mit »voiceworks« knüpft Fiebig auch an diesen Aspekt seiner künstlerischen Forschung an.

Interview mit Gerald Fiebig

Phonographies

Originally released on CD with BAD ALCHEMY magazine # 79 in December 2013 (www.badalchemy.de)

[ENGLISH BELOW]

Gerald Fiebig
Phonographies

Phonographie, das „Schreiben von Klang“, ist nicht einfach irgendeine Metapher für den Prozess der Schall(platten)aufnahme. Denn die Entstehung der Aufnahmetechnik hat das enge Verhältnis von Schrift und Klang, wie es in der westlichen Welt vorher jahrhundertelang durch die Praxis schriftlicher Noten-„Literatur“ bestand, grundlegend verändert. Die Partitur als Musik-Schrift wurde durch die elektrische Aufnahme potenziell überflüssig. Deshalb haben Komponisten im Lauf des 20. Jahrhunderts so viele alternative Notationssysteme ersonnen, um die Partitur zu retten – als den Schrein, in dem das auratische Original eines musikalischen Werks seinen Ort hat. Meine Phonographies befassen sich aber aber eher am Rande mit dem Verhältnis von Schreiben und Musizieren, sondern mehr mit der Beziehung zwischen Schreiben und Sprechen sowie zwischen Poesie und Unsinn. Die gedankliche und klangliche Brücke zwischen den Polen ist dabei stets das „Geräusch“, durchaus auch im Sinne der Genrebezeichnung „Noise“. Geräusch/Noise und Poesie haben viel gemeinsam, wobei sich die Poesie zur Alltagssprache verhält wie Geräusch/Noise zur Musik. Der Semiotiker Umberto Eco hat die Ansicht vertreten, dass das, was in der Alltagskommunikation (störendes) Geräusch ist – Zweideutigkeit, die Möglichkeit mehrerer widersprüchlicher Bedeutungen, ein unüblicher Gebrauch von Kommunikationscodes usw. – gerade die Grundlage der poetischen Kommunikation bildet. Denn diese eröffnet einen sprachlichen Raum vielfältiger Bedeutungen, in dem die Leser_in die Freiheit hat, ihren eigenen Weg zu finden. Auch das ist nicht einfach eine Metapher, die mit den informationstheoretisch-semiotischen und akustischen Aspekten des Begriffs „Geräusch“ spielt. Denn ganz ähnlich wie ein Gedicht oft mehr potenzielle Bedeutungen anbietet, als eine Leser_in (beim ersten Lesen oder überhaupt) erfassen kann, also einen Überschuss an Bedeutungen, so ist auch das Geräusch (besonders wenn es die Gestalt von weißem Rauschen annimmt, aber auch in diversen Spielarten von „Noise Music“) ein Zuviel an akustisch-musikalischer Information, mehr als die Ohren und das Gehirn beim ersten Kontakt dekodieren können: ein Überschuss an potenzieller Musik; Musik, die jede Hörer_in für sich selbst finden darf, so wie die Leser_in eines Gedichts dessen Bedeutung für sich (er-)findet.

Die Außenseite der Musik basiert auf Geräuschen, die beim physischen Manipulieren einer Tonbandspule, einer Schallplatte, einer CD und einer Minidisc (jeweils ohne Abspielgeräte) enstanden. Jener materielle Aspekt des Tonträgers, der eben nicht Ton oder Musik, ja nicht einmal Information ist, wird hier eben doch zum Klangereignis und unterstreicht so die materielle Dimension jeglicher Schreib- und Aufnahmepraxis: Sie ist untrennbar von dem Medium, in dem sie stattfindet.

de composition basiert auf dem Text eines weniger bekannten, aber für das Thema Geräusch/Musik überaus einschlägigen Slogans aus dem Pariser Mai 1968 („Man komponiert nicht in einer zerfallenden [sich dekomponierenden] Gesellschaft“). Der Satz wird von seinem Inhalt „entleert“, indem er ständig wiederholt und dann das Sprechen allmählich auf Geräusche reduziert wird.

Emptied Words folgt einer ähnlichen Methode, aber im Unterschied zum knackigen Polit-Slogan war der hier verwendete Text von vornherein auf semantische Leere angelegt. Es handelt sich um einen Cut-up-Text, den ich in einer Spam-E-Mail fand und so zu lesen versuche, als hätte er eine Satzstruktur. (Es wird ein Code angewendet, der bei dem Text nicht wirklich funktioniert, deshalb entsteht aus der Beziehung von Code und Text eben „Geräusch“.) Der Text ist als weißes Rauschen intendiert, als eine mit stochastischen Mitteln konstruierte Zusammenstellung von Wortfeldern, mit deren Hilfe die Mail Spam-Filter überlisten soll, die nach bestimmten Wörtern oder Wortkombinationen suchen. Dass die dabei entstandene Collage höchst poetische Assoziationsketten hervorbringt, ist vermutlich gegen die Absicht des Absenders. Aber diese Grenzüberschreitung vom Geräusch zur Bedeutung wird auf der klanglichen Ebene auch wieder dadurch unterlaufen, dass die Stimme ins Geräusch übergeht.

Noise Poetry kombiniert Fragmente meiner Stimme, die eines meiner Gedichte liest, mit anderen Noise-Praktiken. Damit wird der Ansatz von Emptied Words ergänzt: Das Sprechen als Geräusch (da nicht einmal klar wird, in welcher Sprache der fragmentierte Texte abgefasst war, kann man die Fragmente auf keinerlei semiotischen Code beziehen) wird Teil eines Klangkontinuums, in dem Sprache nur eine von vielen Spielarten des Geräuschs ist.

Espèce d’écriture basiert auf einer Word-Datei, die als Klangdatei ausgelesen wurde. Es handelte sich um den Text einer Ausschreibung des Institut de Musique Electroacoustique de Bourges zum Thema Phonographie, auf die das Stück reagiert. Das klangliche Ausgangsmaterial wurde remixt, indem die Maus mit Schreibbewegungen der Hand über die Benutzeroberfläche der Soundsoftware geführt wurde.

Optophon Palimpsest geht aus von Aufnahmen einer Performance der Künstlerin Barbara Proksch. In ihren Performances unter dem Titel Optophon macht sie die gestischen, körperlichen Aspekte des Schreibens hörbar, indem sie die Fläche, auf die sie schreibt, mit Mikrofonen und Verstärkern versieht. Die vermeintlich stille (oder zumindest leise) Praxis des Schreibens offenbart dadurch einen geräuschhaften, extrem physischen Charakter. Ich remixte die Aufnahme einer ihrer Performances, indem ich mehrere Male hintereinander alle Buchstaben des Alphabets mit dem Finger auf das Kontrollfeld eines KAOSS-Pad-Multieffektgeräts schrieb. So entstanden zufällige Klangeffekte aus einer höchst kodifizierten Form des Schreibens. Indem der Code vorgeführt wird, der dem Schreiben zugrunde liegt – das Alphabet –, entsteht Geräusch bzw. Noise.

Barbara Proksch
OPTOPHON
Papier als Datenträger

PAPIER ist optisch wie akustisch mein Botenstoff.
… mit all seinen Transparenzen … Oberflächen … Stärken …
seiner Spannkraft und seiner launischen Präsenz.
Jede Berührung mit dem Stift etc. temperiert auf jeder Oberfläche die
Strichsetzung neu.
Jede Heftigkeit wird zu einem Lauschangriff.
Das Ohr hört die Linie ab – befindet sich in einem Rededuell mit der
Aufzeichnung.
Ein Prozess zwischen Schrift & Sprache.
Wenn ich diese Wahrnehmungen über Mikrophone verstärke,
erwacht zwischen Auge und Ohr ein Dialog.
Das Ohr lernt sehen – das Auge lernt die Geduld des Ohres auszuhalten,
die Zeit im gewohnten Ablauf des Sehens anders zu justieren.
Ich erlebe ein Echo.
Es fordert meine Gangart des Händischen in einen Rhythmus,
dessen ROHTON-Palette mich über das Ohr in die Gestik der Zeichnung zurückführt
als Dolmetscher …. ohne Manipulation.

„Der Klang kommt von dem Ort zu mir, auf dem ich bestimmen kann, wo ich hin
will” (Godard)

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Phonographies by Gerald Fiebig

Phonography, the “writing of sound,” is not only a metaphor for the process of sound recording. In fact, the advent of sound recording has made music-as-writing (the score) potentially superfluous, which is why, throughout the 20th century, there has been a proliferation of alternative notations on the part of composers in an attempt to save the score as the place where the musical work as auratic original is enshrined. Phonographies, however, is not about the relation between writing and music, but between writing and speech, between poetry and nonsense, and “noise” acts as the conceptual and sonic strategy that ties them together. Noise and poetry have a lot in common, with poetry being to everyday language what noise is for music. For semiotician Umberto Eco, that which may be deemed (undesirable) noise in factual communication – ambiguity, the possibility of several (contradictory) meanings, unorthodox uses of communicative codes, etc. – is at the very core of poetic communication, which opens up a linguistic space of multiple meanings in which the reader is free to find her own path. Again, this is not only a metaphor playing on the informational/semiotic and acoustic aspects of the term “noise.” In fact, very much like a poem may offer more potential meanings to a reader than she may be able to grasp (at first reading or at all), an excess of meanings, noise (most purely in the form of white noise, but also in the various forms of noise music) is, almost by definition, a too-much of acoustic/musical information, more than the ears and brain can decode and categorise at first contact: an excess of potential musics; musics that each listener is invited, like the reader of a poem, to find for herself.

The Outside of Music is based on the sounds of physically manipulating (without the proper machines) a reel of tape, a vinyl record, a CD, and a minidisc. The material aspect of the medium, that which is not music, not even information, becomes the sonic event and emphasises the material quality of all writing and recording, its being bound up with the medium in which it occurs.

de composition is based on the text of a lesser-known, yet highly noise/music related slogan from Paris May 1968 (“In a decomposing society, you don’t compose”) which is “emptied out” of its content by repeating it over and over and then gradually reducing speech to noise.

Emptied Words employs a similar strategy, but with a text that, unlike the snappy political slogan, was meant to be empty from the start. It is a cut-up text found in a spam e-mail that the vocalist tries to read as if it had a sentence structure. (A code is applied that does not really work on the text – the result is relational noise.) The text is intended as white noise, a stochastically constructed assemblage of lexical fields aimed at bypassing spam filters that are programmed to look for specific words or clusters thereof. Possibly against the sender’s intention, the resulting collage offers chain-association of a highly poetic character. Yet this crossing-over from noise into meaning is subverted on the sonic level by the voice crossing over into noise.

Noise Poetry combines fragments of me reading one of my poems with other noise strategies in a move complementing the strategy of Emptied Words: speech-as-noise (it is even unclear which language the fragmented text was in, so there is no semiotic code to refer to) becomes part of a sonic continuum in which speech is just one of many aspects of noise.

Espèce d’écriture is based on the sonification of a Word file of a call for submissions from the Institut de Musique Electroacoustique de Bourges, for which the piece was created. The basic sound material was remixed by using the mouse in ways that imitated the movements of handwriting while running the sound manipulation software.

Optophon Palimpsest is based on recordings of a performance by artist Barbara Proksch. In her Optophon performances, she makes the gestural, bodily aspects of writing audible by amplifying the surface on which she writes. The supposedly silent (or at least quiet) practice of writing thus reveals a noisy, visceral character. I remixed the sound recordings of one of her performances by tracing several times all the letters of the alphabet on the control pad of a KAOSS Pad multi-effect device, thus creating random sound effects out of a highly codified form of writing (basically just the presentation of the underlying code).

Gerald Fiebig: Pferseer Klangtrilogie

The ’sound trilogy‘ was created for three successive performances in the studios of the artists Anda Manea, Gabi Fischer & Günther Posch, and Gerti Papesch. It moves from Word to Noise to Tone, confronting Fiebig’s poetry and fragments thereof with the sound of Günther Posch’s sculptures and an acoustic interpretation of paintings by Gerti Papesch, who also painted the cover.

Die Klangtrilogie wurde für drei aufeinanderfolgende Performances in den Ateliers der Künstler*innen Anda Manea, Gabi Fischer & Günther Posch und Gerti Papesch entwickelt. Sie bewegt sich vom Wort über das Geräusch zum Ton, indem Fiebigs Lyrik (und Fragmente davon) konfrontiert wird mit dem Klang von Günther Poschs Skulpturen und einer akustischen Interpretation der Bilder von Gerti Papesch, die auch das Cover gemalt hat.