
Radiophone Komposition / radiophonic composition
Ursendung / First broadcast on ORF Kunstradio, 2021-05-16, 11 pm CET
Komposition & Realisation / composed & realised by: Recorder Recorder
Mitwirkende / performed by:
Gerald Fiebig: Stimme & No-input-Mischpult / voice & no-input mixer
Elisabeth Haselberger: Stimme & Paetzold-Kontrabassblockflöte / voice & Paetzold contrabass recorder
Als ich anfing, darüber nachzudenken, wie man Alvin Luciers 90. Geburtstag am 14. Mai 2021 begehen könnte, fiel mir auf, dass der Geburtstag noch während der Covid-19-Pandemie stattfinden würde. Seit dem Beginn der Pandemie hatte es mich immer wieder frappiert, wie treffend Luciers klassischer Satz „I am sitting in a room different from the one you are in now“ die Situation beschreibt, in der sich so viele von uns auf der ganzen Welt wiederfinden, seit Zuhause bleiben und Kontakte reduzieren nötig wurde, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen. Ironischerweise neigen die Tools, die wir zur Kommunikation zwischen unseren getrennten Räumen nutzen, dazu, unser Sprechen in Artefakte zu verwandeln, ähnlich wie es die Raumakustik in „I Am Sitting In A Room“ tut. Aber üblicherweise nicht auf eine so schöne, meditative Art, dass sie die Sprache von der Bürde der Bedeutung befreit, sondern eher so, dass sie sinnhafte Kommunikation auf unerwünschte Art behindert. Trotzdem erschien der prozesshafte Ansatz, den Lucier für sein berühmtestes Stück gewählt hat, als die perfekte Formel, um die Einschränkungen sowohl akustisch-technologischer als auch sozialer Art auszutesten, die das Virus uns aufgezwungen hat. Aber wie konnte das als Hommage an Lucier funktionieren, wenn von vornherein klar war, dass das Ergebnis – wie auch immer es klingen würde – nicht annähernd an die schiere Perfektion von „I Am Sitting In A Room“ würde heranreichen können, das ja in klanglicher wie in konzeptioneller Hinsicht eine der schönsten Hervorbringungen des 20. Jahrhunderts ist? War es legitim, die zeitlose, auf Naturgesetzen basierende Schönheit von Luciers Musik und Ideen mit den akustischen Abfallprodukten dieser Pandemie zu verunreinigen, durch die wir als Künstler:innen und soziale Wesen mit Ach und (buchstäblichem) Krach durchzukommen versuchen? Sicherlich liegen die Verdienste von Luciers Werk nicht im Bereich musikalischer Kommentare zu gesellschaftlichen Themen. Wäre es da nicht fast ein Missbrauch, wenn man seine Ideen derart zweckentfremden würde?
Wie viele andere auf der ganzen Welt, die heute im Bereich der akustischen Künste arbeiten, verdanke ich Alvin Lucier so viel an Inspirationen wie fast niemandem sonst. Aber die beste Ehrung für Leute, die einen inspiriert haben, ist ja nicht, dass man sie imitiert, sondern dass man die von ihnen erhaltenen Ideen nutzt, um etwas Neues und anderes zu machen. Außerdem ist der obige Abriss von Luciers sehr vielfältigem Werk ja auch etwas reduktiv. Es geht ihm ja nicht nur um Physik! Von frühen Stücken wie „North American Time Capsule“ und „(Hartford) Memory Space“ bis zu „Carbon Copies“ zieht sich durch Luciers Werk auch das Interesse daran, wie wir uns an Klänge aus unserer urbanen (und das heißt immer: sozialen) Umgebung erinnern und wie wir sie zu unserer Klangpraxis in Beziehung setzen. (Der ‚Noise‘-Charakter unseres Stückes greift dabei auf die Anfänge von Luciers Laufbahn zurück, noch vor „I Am Sitting in A Room“ und dem daran anschließenden Fokus auf Schwebungsphänomene – man vergleiche dazu die 1967 vom Komponisten selbst realisierte Version seiner „North American Time Capsule“ auf dem Album „Vespers and Other Early Works“.)
Gerade „(Hartford) Memory Space“ und „Carbon Copies“ drehen sich um die Beziehung zwischen dem Aufnehmen und dem (instrumentalen) Nachempfinden von Klängen. Diese Beziehung ist es auch, für die die Blockflötistin Elisabeth Haselberger und ich als Fieldrecorder uns interessieren, wenn wir als Duo Recorder Recorder zusammenarbeiten. Für unsere Hommage an Alvin Lucier in Zeiten der Covid-19-Pandemie entschieden wir uns daher, ‚Field‘-Recordings unserer Wohnungen in Ulm bzw. Augsburg zu machen, die während der Lockdown-Phasen der Pandemie ja unser hauptsächliches Aktions-‚Feld‘ geworden sind. Dann haben Elisabeth an der Paetzold-Kontrabassblockflöte und ich an den No-input-Mischpulten diese Geräusche in der Manier von Luciers „Carbon Copies“ nachempfunden. Zusammen mit einem von „I Am Sitting in A Room“ inspirierten Text in Deutsch und Englisch bilden die Geräusch- und die Instrumentalsequenz unseren jeweiligen Input, mit dem das Stück beginnt.
Wie in der Vorlage, der hier Tribut gezollt wird, vollzieht das Stück selbst den Prozess, den es beschreibt. Das kann man auch als Anspielung darauf lesen, dass die Corona-Kommunikation viel autoreferenzieller ist als andere Kommunikationsformen, weil man sich häufig über bislang ungewohnte und häufig mit Limitierungen behaftete Technologien verständigen muss. („Seht ihr mich jetzt?“ – „Wir können dich nicht hören.“ – „Ich versuche es noch mal.“ – „Wollen wir zu einer anderen Plattform wechseln?“ – „Wenn die 40 Minuten vorbei sind, schicke ich euch einen neuen Link.“)
Diesen dreifachen Input aus Text, Geräuschen und Instrument spielten wir uns dann gegenseitig über Skype, Wonder.me, Facebook Live, Jitsi, Zoom, Mobiltelefon und dann noch zweimal (hin und zurück) über das gute alte Festnetztelefon vor. Dieser Aufnahmeprozess hätte von einer Person alleine nicht bewerkstelligt werden können. Aufgrund dieses kooperativen Charakters ist das Stück also ein Duo-Stück im vollsten Sinne. Damit trotzt es der Tatsache, dass es aufgrund der Distanz und Verzögerung, die ihm eingeschrieben sind, natürlich sehr weit von Live-Interaktion zwischen Musiker:innen entfernt ist. Alle Artefakte, die während des Prozesses entstanden, einschließlich elektromagnetischer Interferenzen und eingehender Anrufe auf dem Mobiltelefon, wurden Teil des Prozesses. Jede Sequenz auf Basis von Elisabeths Input wird mit dem Sample „wieder und wieder / again and again“ markiert (ihre Stimme kommt also zuerst), die Sequenzen auf Basis meines Inputs mit „again and again / wieder und wieder“ (meine Stimme kommt zuerst). Im deutlichen Unterschied zu Luciers Ansatz wurde das Material aus den einzelnen Sequenzen auf Basis kompositorischer Entscheidungen ausgewählt, die mit musikalischem Timing zu tun haben, aber auch auf die ‚Stimmung‘ oder ‚Atmosphäre‘ der Pandemie bezogen werden können. Deshalb, und natürlich wegen des verwendeten Klangmaterials, könnte das Stück also auch „Augsburg/Ulm Memory Space“ oder „Pandemic Time Capsule“ heißen, versucht es doch einzufangen, wie es sich anfühlte (und wie es klang), aus der unfreiwilligen Isolation der Pandemie heraus über die Distanz hinweg zu arbeiten. Als Rahmen und Kontrastfolie für die Untersuchung der neuartigen Situation, in der wir uns befinden, bietet sich das Radio als erstes Telepräsenz-Medium der Geschichte an – im Radio ging es schon immer um jenen Raum zwischen Intimität und Distanz, Signal und Störung, an dem wir uns jetzt in neueren Medien abarbeiten. – Gerald Fiebig
Thinking about a way to celebrate Alvin Lucier’s 90th birthday on May 14, 2021, I realised that this birthday was still going to take place during the Covid-19 pandemic. Since the beginning of the pandemic, I had repeatedly been struck by how much Lucier’s iconic phrase ‚I am sitting in a room different from the one you are in now‘ summed up the situation in which so many of us around the world have found themselves since staying home and reducing contacts have become necessary to counter the spreading of the virus. Ironically, the tools we have been using to communicate between our separate rooms have a tendency to turn our speech into artefacts like the room acoustics in ‚I Am Sitting In A Room‘, but usually not in such a beautiful, meditative way that frees language from the burden of meaning, but in a way that tends to impede meaningful communication in an unwanted way. Still, the processual approach Lucier utilised in this, his most famous piece, seemed like the perfect formula for an experiment to test the limitations, both acoustic-technological as well as social, that the virus has forced upon us. But how could this result in a celebration of Lucier, when it was clear from the outset that whatever the result would sound like, it would by no means even come close to the sheer perfection of ‚I Am Sitting In A Room,‘ one of the most sonically and conceptually beautiful creations of the 20th century? Was it legitimate to soil the timeless beauty of Lucier’s music and ideas, based as it is on laws of nature, with the mud of the pandemic that we’re trying to muddle through as both artists and social beings? Certainly, the merits of Lucier’s work lie elsewhere than in social commentary, and wouldn’t diverting his ideas for such a purpose almost amount to abusing his work?
Like many working in the sonic arts around the globe today, I owe more to Alvin Lucier in terms of inspiration than to almost anyone else. But after all, the best tribute to people who have inspired you is not to imitate them, but to use the ideas they have given you to create something new and different. What is more, the above account of Lucier’s varied work is a bit reductive. It’s not just about physics! From earlier pieces like North American Time Capsule and (Hartford) Memory Space to Carbon Copies, the way we remember sounds from our urban (and that always means: social) environments and relate them to our sound-making practices has been a continuous concern in his work. (The ’noisy‘ character of our piece harks back to the beginnings of Lucier’s career, before ‚I Am Sitting In A Room‘ and the subsequent focus on audible beatings – compare the composer’s own 1967 realisation of North American Time Capsule on the album Vespers and Other Early Works.)
The relationship between recording and (instrumentally) re-creating sounds that is at the core of (Hartford) Memory Space and Carbon Copies is also what interests recorder player Elisabeth Haselberger and myself, as a field recordist, in our duo work as Recorder Recorder. For our tribute to Alvin Lucier in times of the Covid-19 pandemic, we chose to make ‚field‘ recordings of our apartments in Ulm and Augsburg which have become our main ‚fields‘ of action during the lockdown phases of the pandemic, and then re-create these recordings with our instruments in the manner of Lucier’s Carbon Copies, Elisabeth on the Paetzold contrabass recorder and me on no-input mixers. Together with a text in German and English inspired by ‚I Am Sitting in a Room‘, the field recording and the instrumental part form our respective inputs, which open the piece.
As in the model we are paying tribute to, the piece itself performs the process the text describes. This can also be referred to the fact that ‚Corona communication‘ is much more self-referential than other forms of communication due to the constant need for using uncommon, often limited, technologies. (‚Can you see me now?‘ – ‚We can’t hear you.‘ – ‚I’ll try again.‘ – ‚Should we switch to a different platform?‘ – ‚When the 40 minutes are over, I’ll send you a new link.‘)
We then played and recorded these inputs (consisting of text, field recording, and instrument) via Skype, Wonder.me, Facebook Live, Jitsi, Zoom, mobile phone, and then twice (there and back again) via the good old landline telephone. This recording process couldn’t have been performed by one person alone, so in spite of all the distance and delays inscribed into the piece that remove it very much from a performance with live interaction between musicians, it is still very much a duo piece due to its inherently collaborative character. All artefacts occurring during the process, including electromagnetic interference and incoming calls on the mobile phone, became part of the process. Each iteration of Elisabeth’s input is marked by the sample ‚wieder und wieder / again and again‘ (her voice comes first), the iterations of my input are introduced by ‚again and again / wieder und wieder‘ (my voice comes first). In a marked difference to Lucier’s approach, the material from the individual iterations is selected based on compositional decisions that have to do with musical timing, but might also be related to the ‚atmosphere‘ or ‚feel‘ of the pandemic. Based on this as well as on the material used, the piece could also be called Augsburg/Ulm Memory Space or Pandemic Time Capsule, because it tries to capture how it felt (and what it sounded like) to work over distance out of the involuntary isolation of the pandemic. Radio, as the first ‚remote presence‘ medium in history, provides the ideal framework for exploring this new situation we’re finding ourselves in. After all, radio has always been about that space between intimacy and distance, signal and noise, that we’re now grappling with in newer media. – Gerald Fiebig
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