Voiceworks

„Zwischen Ambient und Wort-Loop-Zungenbrecher-Punk“ (Alexander Möckl aka Poembeat)

„A short, fun, and profound release“ (Vital Weekly)

After 30 years in poetry and 15 years in sound art, Gerald Fiebig’s »voiceworks« fuse the two strands of his artistic practice in one single release. In addition to electroacoustic compositions based on both his own voice and that of long-time collaborator Michael Herbst, Fiebig presents, for the first time ever, a collection of sound poems.

These run the gamut from nonsensical, rhythmic, yet still rather semantic spoken-word pieces to exercises in voice-based performance art in which speech is impeded by stones of increasing size being inserted into the speaker’s mouth (»Rolling the Stone of Demosthenes up the Fucking Hill«) or a fragment of speech is repeated up to the point of physical exhaustion (»echokammer vs. schreizimmer«). The track »nothing essential happens in the absence of noise« playfully references the book Noise by Jacques Attali, an important early text for the theorisation of noise. Thus, »voiceworks« also continues Gerald Fiebig’s research into the intersections of meaning and noise as well as music and noise that has informed his artistic and theoretical work at least since the release of »Pferseer Klangtrilogie« and »Phonographies« in 2013.

Interview with Gerald Fiebig

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Gerald Fiebig schreibt seit 30 Jahren Lyrik und macht seit 15 Jahren Klangkunst. Mit »voiceworks« führt er nun diese beiden Stränge seiner künstlerischen Praxis in einer einzigen Veröffentlichung zusammen.

Darauf finden sich elektroakustische Kompositionen, die auf der Stimme von Fiebig und der seines langjährigen Kooperationspartners Michael Herbst basieren. Darüber hinaus gibt es hier aber zum allerersten Mal auch eine Sammlung von Lautgedichten zu hören. Diese spannen den Bogen von rhythmischen, aber immer noch recht semantischen Spoken-Word-Nonsenstexten bis zu stimmbasierten Performances. So wird bei »Rolling the Stone of Demosthenes up the Fucking Hill« das Sprechen erschwert, indem der Sprechende immer größere Steine in den Mund nimmt; »echokammer vs. schreizimmer« wiederholt ein Textfragment bis zur körperlichen Erschöpfung der Sprechwerkzeuge.

Das Stück »nothing essential happens in the absence of noise« ist eine humorvolle Anspielung auf das Buch Noise von Jacques Attali, das ein einflussreicher Vorläufer der heutigen Theoriebildung zum Thema Noise ist. Das Konzept Noise – als Rauschen (im Unterschied zur Bedeutung) bzw. als Geräusch oder Lärm (im Unterschied zur Musik) – spielt in Gerald Fiebigs künstlerischer und theoretischer Arbeit (u.a. der Aufsatz Nichts (als) Noise unter der Sonne? – Utopien und Aporien des Noise für Testcard # 26) spätestens seit den beiden 2013 erschienenen Alben »Pferseer Klangtrilogie« und »Phonographies« eine zentrale Rolle. Mit »voiceworks« knüpft Fiebig auch an diesen Aspekt seiner künstlerischen Forschung an.

Interview mit Gerald Fiebig

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Gerald Fiebig & Michael Herbst: Herbstblätter III

Ursendung auf Radiophrenia, 13. November 2020 um 14:00 Uhr (MEZ)

The title is both a pun on the name of the author of the featured texts – it literally means „Herbst’s sheets“ – and the German word for „autumn leaves“. Through extreme time-stretching, the ‘authentic’ voice of the author-subject speaking his text (actually, lists of very heterogeneous German words) is turned into an ‘asignifying material flux’ (Christoph Cox), thus blurring the boundaries between meaningful speech, noise, and melody. Other fragments of speech function as rhythmic units. In this way, the piece radicalises certain tendencies of radio art in the tradition of concrete poetry.

Herbstblätter III ist nach einer Live-Performance im Quiet Cue Berlin (Herbstblätter, 2012) und zwei kürzeren elektroakustischen Kompositionen für CD (Herbstblätter II.1 und Herbstblätter II.2, 2013) eine dritte Kooperation zwischen dem Audiokünstler Gerald Fiebig und dem Autor Michael Herbst. Herbstblätter III ist für das Radio vorgesehen. Warum?

Konzept

Vor einem halben Jahrhundert brachte das Neue Hörspiel die konkrete Poesie mit neuen audiotechnischen Möglichkeiten, namentlich der Stereophonie, in Kontakt. Die Stereophonie sah man als zentrales Instrument, um Sprache als klangliches (statt primär semantisches) Material zu komponieren. Franz Mon schrieb dazu: „die stereophonie ist alles andere als ein realistisches medium, sie ist ein artifizielles mittel zur ordnung und unterscheidung von hörwahrnehmungen, die in der monophonie ineinanderfallen müßten.“ (1) Nicht realistisch im Sinne einer Abbildung von sprachexternen Realitäten soll das akustische Sprachspiel der konkreten Poesie sein, sondern selbst ein Stück Realität: „da es unsere sprache ist, die da erscheint, ist das stereophone hörspiel durch und durch ‚real‘, wenn diese bezeichnung überhaupt etwas bezeichnen soll.“ (2)

Mit der digitalen Revolution hat sich die Palette der Klangbearbeitungsmöglichkeiten noch deutlich erweitert. Lassen sich auch die heutigen technischen Mittel produktiv für einen „Hörtext“ (Ferdinand Kriwet (3)) bzw. „auditiven Text“ (gerhard rühm) nutzen, der einer Poetik des Konkreten verpflichtet ist? Herbstblätter III geht dieser Frage in einem praktischen Experiment nach, denn, so Sophea Lerner in ihren Überlegungen zur Zukunft des Radios und der Radiokunst: „If a revolution turns things around, sometimes things coming around again into a new context is more revolutionary than a narrative of progress that goes in a straight line where the future is always in front of us, and never sneaking up behind us.“ (4)

Komposition

Die Texte von Michael Herbst bieten sich dafür als Ausgangsmaterial an, da sie teilweise stark an den Verfahrensweisen der klassischen konkreten Poesie orientiert sind. Das Wort „Blätter“ im Titel bezieht sich beispielsweise darauf, dass die Texte mit einer mechanischen Schreibmaschine geschrieben sind, wobei die materielle Fläche des einzelnen Blattes einen formalen Rahmen für Länge und visuelle Gestalt des Textes setzt. Das Schreiben mit der mechanischen Schreibmaschine verlangsamt gegenüber digitalen Techniken den Schreibprozess und stellt zugleich die Materialität des Schreibmediums bewusst in den Vordergrund, gerade auch durch die unvermeidbaren Ungenauigkeiten im Schriftbild, die die Verwendung eines Farbbands mit sich bringt.

Verlangsamung und Unschärfe werden als zentrale Methoden auf die akustische Ebene des Stücks übernommen: Die Aufnahmen der von Michael Herbst selbst eingesprochenen Texte werden größtenteils extrem verlangsamt. Die sogenannte Sprachmelodie wird dadurch wirklich zu einem melodischen Verlauf. Die Nebengeräusche der Aufnahme (Grundrauschen) gewinnen durch diese Verlangsamung ebenfalls eine neue atmosphärische Qualität, werden zu einer Art Begleitstimme (im musikalischen Sinne).

Die extreme Verlangsamung bzw. Zeitdehnung, die hier zum Einsatz kommt, wäre mit analoger Tonbandtechnik nicht realisierbar gewesen – das Time-Stretching als genuiner Effekt unserer Epoche der digitalen Klangbearbeitung nimmt hier die zentrale kompositorische Rolle ein, die für das Neue Hörspiel die Stereophonie innehatte.

Rhythmische Strukturen werden zudem geschaffen durch Loops, in denen die Stimme nicht gedehnt ist. Sie ist aber entweder auf sehr kurze Partikel unterhalb der semantischen Ebene zugeschnitten, oder es werden Wörter so oft wiederholt, dass sie sich auch für Hörer*innen, die Deutsch verstehen, tendenziell von ihrem Sinn entleeren. Grundsätzlich aber funktioniert das Stück sprachübergreifend, als Klangstruktur.

Herbstblätter III basiert dabei ausschließlich auf Texten, die von einer einzigen Stimme gesprochen werden, der Stimme ihres Autors. Das Stück greift in die Materialität der aufgenommenen Stimme ein. Diese wird mittels der musikalisierenden Zeitdehnung von der ‚authentischen“ Stimme des Autor-Subjekts zu einem „asignifying material flux“ (5). Die Differenz von Signal (Stimme) und Rauschen wird dabei tendenziell aufgehoben. Herbstblätter III problematisiert dadurch nicht nur sprachliche Sinnerzeugung und die Präsenz der menschlichen Stimme, sondern auch das Medium der Audioaufnahme selbst.

Durch die Präsentation dieser Arbeit im Radio wird dieses reflexive, selbstkritische Moment noch zugespitzt. Denn in der Echtzeit-Situation der Radiosendung wird die Produktion, die auf einem Speichermedium fixiert wurde, selbst flüchtig und diffus. In diesem Moment der Selbstauflösung radikalisiert sich das (selbst-) kritische Moment der Herbstblätter.

Würde man den hohen Rilke-Ton, der im „Herbst“ des Titels anklingt, aufgreifen wollen, könnte man also sagen: Durch die Sendung verwehen die Herbstblätter im Äther. Aber vielleicht verfaulen sie auch einfach. Denn die kitschige Metapher wird reflexiv (und selbstironisch) ja dadurch gebrochen, dass der Titel auch einfach ein durchaus beabsichtigter Kalauer mit dem Namen des Autors ist.

1Franz Mon: bemerkungen zur stereophonie. In: Klaus Schöning (Hg.): Neues Hörspiel. Essays, Analysen, Gespräche. Frankfurt am Main 1970, S. 126. Vgl. zur Bedeutung der Stereophonie im selben Band die Beiträge zu meinen auditiven texten von gerhard rühm (S. 57) und Erfahrungen mit der Stereophonie von Heinz Hostnig (S. 129-133)

2Mon S. 127

3Vgl. Ferdinand Kriwet: Sehtexte – Hörtexte. In: Schöning S. 37-45

4Sophea Lerner: The Revolten Will Not Be Televised. In: Knut Aufermann/Helen Hahmann/Sarah Washington/Ralf Wendt (Hgg.): Radio Revolten: 30 Days of Radio Art. Leipzig 2019, S. 288

5Christoph Cox: Beyond Representation and Signification: Toward a Sonic Materialism. In: Journal of Visual Culture Vol 10(2), S. 157

Orientalism: „Ali’s Riot Men“

Orientalism was a conceptual collaboration project of Sustained Development (Gerald Fiebig) and EMERGE (Sascha Stadlmeier).

Field recordings from China
Processed by EMERGE
Stereotyped by Orientalism
Deconstructed by Sustained Development

cover image by Michael Herbst
credits
released April 14, 2013

This side project of Sustained Development processes field recordings from the Far East (with some help from label mate EMERGE) to such an extent that they become hissing, granular sheets of sound resembling, for example, abstract Mille-Plateaux-style electronica rather than anything „concrete“. Reverb and time-stretching make the so-called „real“ sounds recorded during a trip through China into something very different, calm yet faintly ominous, far from the pseudo-documentary pose that is common in “field recordings” as a genre.

To quote Edward Said, who invented the term, “Orientalism is a Western style for dominating, restructuring, and having authority over the Orient” by creating stereotypical images of “the East.” This release by Orientalism (the title of the album and all tracks being anagrams of the word to hint at the ideological limitations of orientalist clichés) aims to subvert the stereotyping that is latent in a lot of field recordings of more or less “exotic” places because they tend to fix a limited sound image of what “the” Orient (or India, Kyoto, etc.) sounds like. In a certain way, the compositional treatment applied to the Chinese field recordings on this album insists on the right of every sound to become (abstract) music instead of just standing in as a tourist snapshot.

Michael Herbst/Gerald Fiebig: Rückwärtsklicken

Für diese Installation habe ich Texte zu Michael Herbsts Fotos beigesteuert. Sound gibt es dazu aber auch, nämlich von Tom Simonetti (Rhytm Police, Die Hangonauten) – und zwar am Samstag, den 21.09.2013 von 18:00 Uhr bis 22:00 Uhr im Café am Milchberg in Augsburg im Rahmen des Kunstparcours.

Rückwärtsklicken

Wer sich näher für das Konzept der Arbeit interessiert, kann hier einen Text von Michael Herbst dazu lesen:

Rückwärtsklicken, 2010 – 2012

Folgt man dem Gedankenexperiment, sich Eindrücke und Erinnerungen als beständiges Reservoir vor das geistige Auge zu legen, so stellen sich zwei Fragen: Wie ordnen sich diese Lagerstätten und wie könnte man sich diese dauerhaft erschließen?
Die Politik bemüht sich seit jeher, das Gedenken und Erinnern als ideologisch aufgeladenen Akt zu inszenieren und ordnet damit große Teile ihres Aufgabengebietes, versammelt Individuen unter einem Claim, meistens „die Nation“, trennt und spaltet wieder auf. Subjektive Eindrücke können schon per se einer solchen Inszenierung nicht folgen, sind sie eben doch nur jedem Einzelnen vertraut, eignen sich nicht zur präzisen Beschreibung sowie Weitergabe, und erschließen sich nur vor dem jeweiligen vollständigen biografischen Hintergrund.
Wie Stiller bei Max Frisch richtig feststellt: „Man kann alles erzählen, nur nicht sein wirkliches Leben.“
Die vorliegende Arbeit versucht diesen Satz zu umgehen, ohne ihn als treffende Markierung des sozialen Miteinanders gänzlich zu vergessen. Auch wenn wir wollten: wir kommen nicht ohne intersubjektiv geteilte Wahrnehmungen aus, sind eben doch in unseren sozialen Kontexten gefangen, so sehr wir uns auch einreden, von diesen unabhängig zu sein, und uns gänzlich selbstbestimmen wollen.
Betrachten wir unsere Wahrnehmungen als Abraumhalden, die Ergebnis einer immer neuen Auseinandersetzung mit unserer Umwelt sind, die von uns bewusst und unbewusst geschaffen werden, so wird möglicherweise auch deutlich, dass diese Lagerstätten der „Wiederverwertung“ zugänglich gemacht werden können: Denken als Bergbau. Unsere Biografie als Gesteinsmasse, die wir aus unterschiedlichen Richtungen abtragen können, in die wir Stollen treiben, um zu den Lagerstätten vorzustoßen, die wir selbst angelegt haben und die wir kartografieren sollten, um uns zu vergewissern, dass wenigstens wir uns unser Leben erzählen können, wenn wir es schon anderen nicht berichten können. Ebenso bleiben damit auch die schwarzen Flecken der Erinnerung im Bilde, die wir auf unseren Landkarten zu umgehen versuchen, wenn wir uns bewusst nicht erinnern wollen und Vergangenes am liebsten aus unserem Gedächtnis streichen wollen. Gewissermaßen analog zu diesem Prozess wurde eine Anzahl von Fotografien angefertigt und lose arrangiert. Unabhängig davon wurden diese Fotografien als Startpunkt verstanden, jene Gedankengänge mit Worten zu begleiten und dem reinen visuellen Vorgang ein Korsett zu geben. Gleichzeitig treten auch die Bilder mit den Worten in ihren Dialog und ergänzen den Versuch, die Bilder als jene Masse zu verstehen, in die wir selbst unentwegt Probebohrungen jagen, um uns zu vergewissern, dass wir in der Lage sind, unsere Biografie geradlinig zu rekonstruieren. Der dabei gewählte Startpunkt ist gänzlich egal, begreifen wir unsere Vergangenheit und Gegenwart doch nur selten als reinen Ablauf von Ereignissen, der uns „zu dem machte, was wir heute sind“, denn als präsenten Gefühlszustand, dem wir uns immer wieder stellen müssen. Analog dazu tauchen Bilder und Worte in einem Dauerloop auf.
Durch das Erinnern wird die Vergangenheit nicht gebannt, sondern erst wirklich erfahren: bewusst benennbar, stimmhaft und spruchreif.

Gerald Fiebig: Piano Decay

Piano Decay

While staying in the Berlin apartment of Jürgen Schlöh Lehmann and Michael Herbst in early December 2012, I played a series of isolated notes on the defunct piano I found in the living room and recorded them with what equipment was at hand. The four pieces on this release were constructed from these recordings. A live version was performed at Quiet Cue, Berlin, on December 8, 2012. Thanks are due to Michael Herbst, Jürgen Schlöh Lehmann; and Nicolas Wiese, who commissioned me to play at Quiet Cue and thus inspired the creation of the live version. The photograph (copyright Michael Herbst) shows a detail of the actual piano.

Während meines Aufenthalts in der Wohnung von Jürgen Schlöh Lehmann und Michael Herbst in Berlin im Dezember 2012, spielte ich eine Reihe einzelner Noten auf dem kaputten Klavier, das ich dort im Wohnzimmer fand, und nahm sie mit dem Equipment auf, das ich gerade zur Hand hatte. Die hier veröffentlichten vier Stücke wurden aus diesen Aufnahmen konstruiert. Eine Livefassung wurde am 8. Dezember im Quiet Cue in Berlin aufgeführt. Mein Dank gilt Michael Herbst, Jürgen Schlöh Lehmann und Nicolas Wiese, der mich zu dem Auftritt im Quiet Cue eingeladen und damit die Livefassung angeregt hatte. Das Foto (Copyright Michael Herbst) zeigt ein Detail des bewussten Klaviers.