Archiv des Autors: geraldfiebig
Voiceworks
„Zwischen Ambient und Wort-Loop-Zungenbrecher-Punk“ (Alexander Möckl aka Poembeat)
„A short, fun, and profound release“ (Vital Weekly)
After 30 years in poetry and 15 years in sound art, Gerald Fiebig’s »voiceworks« fuse the two strands of his artistic practice in one single release. In addition to electroacoustic compositions based on both his own voice and that of long-time collaborator Michael Herbst, Fiebig presents, for the first time ever, a collection of sound poems.
These run the gamut from nonsensical, rhythmic, yet still rather semantic spoken-word pieces to exercises in voice-based performance art in which speech is impeded by stones of increasing size being inserted into the speaker’s mouth (»Rolling the Stone of Demosthenes up the Fucking Hill«) or a fragment of speech is repeated up to the point of physical exhaustion (»echokammer vs. schreizimmer«). The track »nothing essential happens in the absence of noise« playfully references the book Noise by Jacques Attali, an important early text for the theorisation of noise. Thus, »voiceworks« also continues Gerald Fiebig’s research into the intersections of meaning and noise as well as music and noise that has informed his artistic and theoretical work at least since the release of »Pferseer Klangtrilogie« and »Phonographies« in 2013.
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Gerald Fiebig schreibt seit 30 Jahren Lyrik und macht seit 15 Jahren Klangkunst. Mit »voiceworks« führt er nun diese beiden Stränge seiner künstlerischen Praxis in einer einzigen Veröffentlichung zusammen.
Darauf finden sich elektroakustische Kompositionen, die auf der Stimme von Fiebig und der seines langjährigen Kooperationspartners Michael Herbst basieren. Darüber hinaus gibt es hier aber zum allerersten Mal auch eine Sammlung von Lautgedichten zu hören. Diese spannen den Bogen von rhythmischen, aber immer noch recht semantischen Spoken-Word-Nonsenstexten bis zu stimmbasierten Performances. So wird bei »Rolling the Stone of Demosthenes up the Fucking Hill« das Sprechen erschwert, indem der Sprechende immer größere Steine in den Mund nimmt; »echokammer vs. schreizimmer« wiederholt ein Textfragment bis zur körperlichen Erschöpfung der Sprechwerkzeuge.
Das Stück »nothing essential happens in the absence of noise« ist eine humorvolle Anspielung auf das Buch Noise von Jacques Attali, das ein einflussreicher Vorläufer der heutigen Theoriebildung zum Thema Noise ist. Das Konzept Noise – als Rauschen (im Unterschied zur Bedeutung) bzw. als Geräusch oder Lärm (im Unterschied zur Musik) – spielt in Gerald Fiebigs künstlerischer und theoretischer Arbeit (u.a. der Aufsatz Nichts (als) Noise unter der Sonne? – Utopien und Aporien des Noise für Testcard # 26) spätestens seit den beiden 2013 erschienenen Alben »Pferseer Klangtrilogie« und »Phonographies« eine zentrale Rolle. Mit »voiceworks« knüpft Fiebig auch an diesen Aspekt seiner künstlerischen Forschung an.
Beatrice Ottmann/Stefan Schulzki play Gerald Fiebig: Stördämpfung
Im Frühjahr 2015 bat mich Stefan Schulzki um eine Komposition für Sopran und Klavier/Elektronik. Sie sollte in einem Konzertprogramm seines Duos mit Beatrice Ottmann Verwendung finden. Das war für mich als Autodidakt, der eher im Bereich der elektroakustischen Phono-Graphie unterwegs ist als in der Notenschrift, eine große Ehre, aber auch eine Herausforderung. Unter Anwendung nahezu aller Methoden, die ich mir aus der experimentellen Musik – danke an dieser Stelle an Wolfram Oettl, der mir einst das Grundlagenwerk „Experimental Music: Cage and Beyond“ von Michael Nyman geliehen hat – und der jüngeren Konzeptmusik angeeignet hatte, erstellte ich die grafischen bzw. Text-Partituren „Stördämpfung“, „Münchner Klangtrilogie“, „Mozart für Marsianer“ und „A Brief History of Phonography“. Sie alle sind im PDF-Format in diesem Download-Album enthalten. Die Aufführungsrechte aller Stücke sind unter einer Creative-Commons-Lizenz (Attribution/Share Alike) kostenlos nutzbar.
Zur Aufführung kam dann „Stördämpfung“, und zwar am 05. Oktober 2015 im Leopold-Mozart-Zentrum in Augsburg bei dem Konzert „Sounds and Ballads“ von Beatrice Ottmann und Stefan Schulzki, veranstaltet vom Tonkünstlerverband Augsburg-Schwaben. Die Aufnahme auf diesem Album stammt aber nicht von der Uraufführung. Es handelt sich um den Mitschnitt einer Probe im Vorfeld des Konzerts, der sich in der Länge und dem Duktus durchaus in einigen Aspekten von der Uraufführung unterscheidet. Zwar existiert auch ein Mitschnitt der Uraufführung. Wir haben uns jedoch für die Veröffentlichung dieser Fassung entschieden, weil sie uns beim Hören als die gelungenere Improvisation erschien.
Denn, so paradox das klingen mag, darum ging es genau bei diesen Kompositionen: um Improvisation. Mein Ziel war, bestimmte klangästhetische und inhaltliche – Harry Lehmann würde sagen: „gehaltsästhetische“ – Rahmenbedingungen zu schaffen, die die Komposition als abgrenzbares „Stück“ definieren sollten. Innerhalb dieses Rahmens sollten Beatrice und Stefan aber die maximale Freiheit der klanglichen Ausgestaltung als improvisierendes Duo haben. Dass ich die „Komponistenfunktion“ übernahm (so wie Michel Foucault von der „Autorfunktion“ spricht), die in westlich geprägter „Kunstmusik“ nun mal vorgesehen ist, war – wenn man so will – eine Art List, um zwei großartige Performer:innen aus der „dienenden“ Rolle der sogenannten „Interpret:innen“ in die ihnen zustehende Funktion von „(Mit-) Schöpfer:innen“ der Musik zu holen.
In einer musikalischen Kultur, die sehr stark von fixierten Noten-Texten geprägt ist – man spricht ja im Kontext von sogenannter E-Musik auch von der „Literatur“ für eine bestimmte Besetzung – können improvisatorische „Eigenmächtigkeiten“ leicht als Störung interpretiert werden. In musikalischen Subkulturen, die das improvisatorische Element in den Vordergrund stellen – am eindeutigsten natürlich in jenem Bereich, der bereits als Freie Improvisation firmiert – kann hingegen umgekehrt die Einschränkung des freien Spiels durch schriftliche Fixierung zur Störung geraten. Was musikalisches Signal ist und was Störung, ist relativ und kontextabhängig. Der Titel „Stördämpfung“ greift genau diese Unschärfe auf und lädt die Spieler:innen ein, die Grenze von „signal“ und „noise“ jeweils für sich selbst – vielleicht sogar von Fall zu Fall – auszuloten, denn: „Noise is always relational“ (Paul Hegarty in „Noise/Music: A History“). Denn das Wort „Stördämpfung“ vollzieht diese Unschärfe selbst: Es kann eine Dämpfung des erwünschten Nutzsignals durch das Störsignal bzw. Rauschen meinen – aber auch eine Dämpfung des Störsignals zur Verbesserung des Nutzsignals, also etwa dasselbe wie „Rauschunterdrückung“.
Das Spiel von Signal und Störgeräusch wird auf diesem Album aber nicht nur auf der konzeptionell-metaphorischen Ebene aufgeführt. Die Aufnahmen wurden nicht unter perfekten tontechnischen Bedingungen aufgenommen, da sie ursprünglich nicht für eine Veröffentlichung geplant waren. Dies verbindet den Probenmitschnitt von „Stördämpfung“ mit dem anderen Teil des Albums: Die Tracks von „heimatroman: blauer dunst“ wurden aus den Livemitschnitten von zwei Aufführungen des Programms im Rahmen der „Langen Kunstnacht“ am 04. Juni 2016 in der Neuen Galerie im Höhmannhaus in Augsburg zusammengestellt. Als wir uns nun für die Veröffentlichung entschieden haben, galt es für alle Aufnahmen auch auf tontechnischer Ebene die richtige Balance zwischen tontechnischem Qualitätsanspruch und der unabweisbaren Präsenz des Livemoments zu finden – einer Präsenz, die manchmal gerade in der hörbaren Nicht-Perfektion der Aufnahme erlebbar wird.
Die Musik von „heimatroman: blauer dunst“ entspringt einzig und allein der improvisatorisch-kompositorischen Zusammenarbeit von Beatrice Ottmann und Stefan Schulzki. Mein Anteil daran sind die Texte, die die beiden aus meinem Gedichtband „normalzeit“ (Innsbruck: Edition Skarabaeus im Studienverlag 2002) ausgewählt haben. Dafür, dass diese Texte so lange nach ihrer Veröffentlichung durch die musikalische Performance nochmals einen derart starken Auftritt erhalten haben, bin ich Beatrice und Stefan sehr, sehr dankbar – ebenso wie für ihre Einwilligung, das Material zu veröffentlichen, und für die Unterstützung bei der Zusammenstellung des Albums. Im besten Fall dokumentiert es nicht nur eine für meine eigene Entwicklung sehr wichtige Zusammenarbeit, sondern auch ein genresprengendes Composer-Performer-Duo auf der Höhe seiner künstlerischen Zusammenarbeit, das die Grenzen zwischen Neuer Musik, elektroakustischer Improvisation, Noise/Industrial, Jazz und Pop einzureißen wusste wie kaum jemand anders, den ich kennenlernen durfte.
Gerald Fiebig, im November 2021
elektrojudas/Gerald Fiebig: FCK AFD
Der 2018 veröffentlichte Track „fck a f d“ von elektrojudas inspirierte Gerald Fiebig zu seinem eigenen Anti-AfD- (und FDP-) Sück „Chords of Shame“, das 2020 veröffentlicht wurde.
Für diese EP haben elektrojudas und Gerald Fiebig ihre Stücke gegenseitig remixt.
Die EP ist nur als Bandcamp-Download erhältlich. Alle Einnahmen aus dem Verkauf gehen als Spende an die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN/BdA).
Noiseworks
Gerhard Zander, who I played with as a duo from 2006 to 2012, first introduced me to the principle of the no-input mixer in 2009. Our way of working with no-input mixers is documented on our releases „Modul 2“ (www.brainhall.net/popups/zehn.htm) and „Modul 3“ (emerge.bandcamp.com/album/modul-3). The tracks from 2009 are examples of my solo improvisations in preparation of our duo rehearsals.
My experiments with the no-input mixer were substantially supported by my brother, Daniel Fiebig aka DJ Daniel Fibrile, who generously donated several generations of worn-out DJ mixers. In 2013, I came back to the no-input mixer in a temporary project in support of the lab30 festival with DJ Fibrile, EMERGE, elektrojudas, and Christian Z. Müller. Due to schedule problems, I never eventually got to play with them, but the tracks Deconstruction Disco and Disco Deconstruction are, again, documents of my approach at the time.
In the following years, the no-input mixer became part of my set-up for improvising with other musicians because I more and more came to appreciate its peculiar form of responsiveness. It was used in live sets with Udo Schindler and Harald Lillmeyer as well as Udo Schindler and Adrian Pereyra. Most recently, it can be heard on Das Tote Kapital & Gerald Fiebig (emerge.bandcamp.com/album/das-tote-kapital-gerald-fiebig).
During the 2020/2021 Covid pandemic, I made two radio works for which I came back to the no-input mixer as a solo instrument: Passagen. Werk für Walter Benjamin (www.mixcloud.com/gerald-fiebig/passagen-werk-f%C3%BCr-walter-benjamin/) and, in collaboration with Elisabeth Haselberger as Recorder Recorder, In 2 Rooms – A Tribute to Alvin Lucier (kunstradio.at/2021A/16_05_21.html). The recordings from 2021 collected here are further documents from this phase.
Throughout this album, the changes in my approach to the no-input mixer in certain ways reflect my approach to sound and performance as a whole: from the Cage-inspired near-silence of 2009 to the 2013 „meta-techno“ of a misused DJ tool to the noise of 2021. The latter has been inspired quite heavily by Bruce Russell’s sound practice and theory (I highly recommend his book Left-handed Blows, available at brucerussell.bandcamp.com/album/left-handed-blows-access-to-evil). The little would-be manifesto that’s part of this album is a modest tip of the hat to him (without even beginning to make any claims to a comparable level of theoretical rigour and lucidity).
As someone who was never actually trained to play a particular instrument, I was quite surprised when, looking back, I found that the no-input mixer, over the years, had sort of become „my“ instrument.
But I would not have found this loyal companion if it hadn’t been for Gerhard and Daniel. I dedicate this album to them with gratitude for all the things I learned from them about music.
credits
released November 5, 2021
Performed, recorded & designed by Gerald Fiebig.
Cover photo (design of disco mirror ball) by Gerald Fiebig.
Mirror ball generously supplied by Tine Klink.
Thanks to Daniel „Fibrile“ Fiebig and Gerhard Zander.
Knitworks
The Knitworks were improvised live in the studio in 2016 and 2017. The source sounds were created with knitting needles and other knitting accessories. The resulting samples were then processed using Ableton Live.
In 2016 I was commissioned to do a sound installation at a festival in Augsburg dealing – among other things – with the city’s past as a centre of the textile industry. I used the knitting samples alongside samples of antique weaving machines.
In 2017 my wife and artistic partner Tine Klink aka Oda Klonk and I had our first gallery exhibition as KLONK which featured lots of textile objects and sound. It also involved a happening on the Worldwide Knit in Public Day (10 June, 2017). So I returned to the knitting needle samples with a view to using them in this context, but eventually they did not fit the concept. Therefore, these Knitworks were never performed in public and are previously unreleased.
A lot of inspiration for my Knitworks came from KNITSONIK, the amazing Knit + Sound project of Felicity Ford aka Felix.
Please check out her website at www.knitsonik.com
And of course I would never have thought of this project at all if it wasn’t for the fact that I’m living with a great sound artist and painter (and so much more …) who, unlike myself, actually knows how to knit. 🙂
Therefore, this album is dedicated to Tine. ❤
Recorder Recorder: In 2 Rooms – A Tribute to Alvin Lucier

Radiophone Komposition / radiophonic composition
Ursendung / First broadcast on ORF Kunstradio, 2021-05-16, 11 pm CET
Komposition & Realisation / composed & realised by: Recorder Recorder
Mitwirkende / performed by:
Gerald Fiebig: Stimme & No-input-Mischpult / voice & no-input mixer
Elisabeth Haselberger: Stimme & Paetzold-Kontrabassblockflöte / voice & Paetzold contrabass recorder
Als ich anfing, darüber nachzudenken, wie man Alvin Luciers 90. Geburtstag am 14. Mai 2021 begehen könnte, fiel mir auf, dass der Geburtstag noch während der Covid-19-Pandemie stattfinden würde. Seit dem Beginn der Pandemie hatte es mich immer wieder frappiert, wie treffend Luciers klassischer Satz „I am sitting in a room different from the one you are in now“ die Situation beschreibt, in der sich so viele von uns auf der ganzen Welt wiederfinden, seit Zuhause bleiben und Kontakte reduzieren nötig wurde, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen. Ironischerweise neigen die Tools, die wir zur Kommunikation zwischen unseren getrennten Räumen nutzen, dazu, unser Sprechen in Artefakte zu verwandeln, ähnlich wie es die Raumakustik in „I Am Sitting In A Room“ tut. Aber üblicherweise nicht auf eine so schöne, meditative Art, dass sie die Sprache von der Bürde der Bedeutung befreit, sondern eher so, dass sie sinnhafte Kommunikation auf unerwünschte Art behindert. Trotzdem erschien der prozesshafte Ansatz, den Lucier für sein berühmtestes Stück gewählt hat, als die perfekte Formel, um die Einschränkungen sowohl akustisch-technologischer als auch sozialer Art auszutesten, die das Virus uns aufgezwungen hat. Aber wie konnte das als Hommage an Lucier funktionieren, wenn von vornherein klar war, dass das Ergebnis – wie auch immer es klingen würde – nicht annähernd an die schiere Perfektion von „I Am Sitting In A Room“ würde heranreichen können, das ja in klanglicher wie in konzeptioneller Hinsicht eine der schönsten Hervorbringungen des 20. Jahrhunderts ist? War es legitim, die zeitlose, auf Naturgesetzen basierende Schönheit von Luciers Musik und Ideen mit den akustischen Abfallprodukten dieser Pandemie zu verunreinigen, durch die wir als Künstler:innen und soziale Wesen mit Ach und (buchstäblichem) Krach durchzukommen versuchen? Sicherlich liegen die Verdienste von Luciers Werk nicht im Bereich musikalischer Kommentare zu gesellschaftlichen Themen. Wäre es da nicht fast ein Missbrauch, wenn man seine Ideen derart zweckentfremden würde?
Wie viele andere auf der ganzen Welt, die heute im Bereich der akustischen Künste arbeiten, verdanke ich Alvin Lucier so viel an Inspirationen wie fast niemandem sonst. Aber die beste Ehrung für Leute, die einen inspiriert haben, ist ja nicht, dass man sie imitiert, sondern dass man die von ihnen erhaltenen Ideen nutzt, um etwas Neues und anderes zu machen. Außerdem ist der obige Abriss von Luciers sehr vielfältigem Werk ja auch etwas reduktiv. Es geht ihm ja nicht nur um Physik! Von frühen Stücken wie „North American Time Capsule“ und „(Hartford) Memory Space“ bis zu „Carbon Copies“ zieht sich durch Luciers Werk auch das Interesse daran, wie wir uns an Klänge aus unserer urbanen (und das heißt immer: sozialen) Umgebung erinnern und wie wir sie zu unserer Klangpraxis in Beziehung setzen. (Der ‚Noise‘-Charakter unseres Stückes greift dabei auf die Anfänge von Luciers Laufbahn zurück, noch vor „I Am Sitting in A Room“ und dem daran anschließenden Fokus auf Schwebungsphänomene – man vergleiche dazu die 1967 vom Komponisten selbst realisierte Version seiner „North American Time Capsule“ auf dem Album „Vespers and Other Early Works“.)
Gerade „(Hartford) Memory Space“ und „Carbon Copies“ drehen sich um die Beziehung zwischen dem Aufnehmen und dem (instrumentalen) Nachempfinden von Klängen. Diese Beziehung ist es auch, für die die Blockflötistin Elisabeth Haselberger und ich als Fieldrecorder uns interessieren, wenn wir als Duo Recorder Recorder zusammenarbeiten. Für unsere Hommage an Alvin Lucier in Zeiten der Covid-19-Pandemie entschieden wir uns daher, ‚Field‘-Recordings unserer Wohnungen in Ulm bzw. Augsburg zu machen, die während der Lockdown-Phasen der Pandemie ja unser hauptsächliches Aktions-‚Feld‘ geworden sind. Dann haben Elisabeth an der Paetzold-Kontrabassblockflöte und ich an den No-input-Mischpulten diese Geräusche in der Manier von Luciers „Carbon Copies“ nachempfunden. Zusammen mit einem von „I Am Sitting in A Room“ inspirierten Text in Deutsch und Englisch bilden die Geräusch- und die Instrumentalsequenz unseren jeweiligen Input, mit dem das Stück beginnt.
Wie in der Vorlage, der hier Tribut gezollt wird, vollzieht das Stück selbst den Prozess, den es beschreibt. Das kann man auch als Anspielung darauf lesen, dass die Corona-Kommunikation viel autoreferenzieller ist als andere Kommunikationsformen, weil man sich häufig über bislang ungewohnte und häufig mit Limitierungen behaftete Technologien verständigen muss. („Seht ihr mich jetzt?“ – „Wir können dich nicht hören.“ – „Ich versuche es noch mal.“ – „Wollen wir zu einer anderen Plattform wechseln?“ – „Wenn die 40 Minuten vorbei sind, schicke ich euch einen neuen Link.“)
Diesen dreifachen Input aus Text, Geräuschen und Instrument spielten wir uns dann gegenseitig über Skype, Wonder.me, Facebook Live, Jitsi, Zoom, Mobiltelefon und dann noch zweimal (hin und zurück) über das gute alte Festnetztelefon vor. Dieser Aufnahmeprozess hätte von einer Person alleine nicht bewerkstelligt werden können. Aufgrund dieses kooperativen Charakters ist das Stück also ein Duo-Stück im vollsten Sinne. Damit trotzt es der Tatsache, dass es aufgrund der Distanz und Verzögerung, die ihm eingeschrieben sind, natürlich sehr weit von Live-Interaktion zwischen Musiker:innen entfernt ist. Alle Artefakte, die während des Prozesses entstanden, einschließlich elektromagnetischer Interferenzen und eingehender Anrufe auf dem Mobiltelefon, wurden Teil des Prozesses. Jede Sequenz auf Basis von Elisabeths Input wird mit dem Sample „wieder und wieder / again and again“ markiert (ihre Stimme kommt also zuerst), die Sequenzen auf Basis meines Inputs mit „again and again / wieder und wieder“ (meine Stimme kommt zuerst). Im deutlichen Unterschied zu Luciers Ansatz wurde das Material aus den einzelnen Sequenzen auf Basis kompositorischer Entscheidungen ausgewählt, die mit musikalischem Timing zu tun haben, aber auch auf die ‚Stimmung‘ oder ‚Atmosphäre‘ der Pandemie bezogen werden können. Deshalb, und natürlich wegen des verwendeten Klangmaterials, könnte das Stück also auch „Augsburg/Ulm Memory Space“ oder „Pandemic Time Capsule“ heißen, versucht es doch einzufangen, wie es sich anfühlte (und wie es klang), aus der unfreiwilligen Isolation der Pandemie heraus über die Distanz hinweg zu arbeiten. Als Rahmen und Kontrastfolie für die Untersuchung der neuartigen Situation, in der wir uns befinden, bietet sich das Radio als erstes Telepräsenz-Medium der Geschichte an – im Radio ging es schon immer um jenen Raum zwischen Intimität und Distanz, Signal und Störung, an dem wir uns jetzt in neueren Medien abarbeiten. – Gerald Fiebig
Thinking about a way to celebrate Alvin Lucier’s 90th birthday on May 14, 2021, I realised that this birthday was still going to take place during the Covid-19 pandemic. Since the beginning of the pandemic, I had repeatedly been struck by how much Lucier’s iconic phrase ‚I am sitting in a room different from the one you are in now‘ summed up the situation in which so many of us around the world have found themselves since staying home and reducing contacts have become necessary to counter the spreading of the virus. Ironically, the tools we have been using to communicate between our separate rooms have a tendency to turn our speech into artefacts like the room acoustics in ‚I Am Sitting In A Room‘, but usually not in such a beautiful, meditative way that frees language from the burden of meaning, but in a way that tends to impede meaningful communication in an unwanted way. Still, the processual approach Lucier utilised in this, his most famous piece, seemed like the perfect formula for an experiment to test the limitations, both acoustic-technological as well as social, that the virus has forced upon us. But how could this result in a celebration of Lucier, when it was clear from the outset that whatever the result would sound like, it would by no means even come close to the sheer perfection of ‚I Am Sitting In A Room,‘ one of the most sonically and conceptually beautiful creations of the 20th century? Was it legitimate to soil the timeless beauty of Lucier’s music and ideas, based as it is on laws of nature, with the mud of the pandemic that we’re trying to muddle through as both artists and social beings? Certainly, the merits of Lucier’s work lie elsewhere than in social commentary, and wouldn’t diverting his ideas for such a purpose almost amount to abusing his work?
Like many working in the sonic arts around the globe today, I owe more to Alvin Lucier in terms of inspiration than to almost anyone else. But after all, the best tribute to people who have inspired you is not to imitate them, but to use the ideas they have given you to create something new and different. What is more, the above account of Lucier’s varied work is a bit reductive. It’s not just about physics! From earlier pieces like North American Time Capsule and (Hartford) Memory Space to Carbon Copies, the way we remember sounds from our urban (and that always means: social) environments and relate them to our sound-making practices has been a continuous concern in his work. (The ’noisy‘ character of our piece harks back to the beginnings of Lucier’s career, before ‚I Am Sitting In A Room‘ and the subsequent focus on audible beatings – compare the composer’s own 1967 realisation of North American Time Capsule on the album Vespers and Other Early Works.)
The relationship between recording and (instrumentally) re-creating sounds that is at the core of (Hartford) Memory Space and Carbon Copies is also what interests recorder player Elisabeth Haselberger and myself, as a field recordist, in our duo work as Recorder Recorder. For our tribute to Alvin Lucier in times of the Covid-19 pandemic, we chose to make ‚field‘ recordings of our apartments in Ulm and Augsburg which have become our main ‚fields‘ of action during the lockdown phases of the pandemic, and then re-create these recordings with our instruments in the manner of Lucier’s Carbon Copies, Elisabeth on the Paetzold contrabass recorder and me on no-input mixers. Together with a text in German and English inspired by ‚I Am Sitting in a Room‘, the field recording and the instrumental part form our respective inputs, which open the piece.
As in the model we are paying tribute to, the piece itself performs the process the text describes. This can also be referred to the fact that ‚Corona communication‘ is much more self-referential than other forms of communication due to the constant need for using uncommon, often limited, technologies. (‚Can you see me now?‘ – ‚We can’t hear you.‘ – ‚I’ll try again.‘ – ‚Should we switch to a different platform?‘ – ‚When the 40 minutes are over, I’ll send you a new link.‘)
We then played and recorded these inputs (consisting of text, field recording, and instrument) via Skype, Wonder.me, Facebook Live, Jitsi, Zoom, mobile phone, and then twice (there and back again) via the good old landline telephone. This recording process couldn’t have been performed by one person alone, so in spite of all the distance and delays inscribed into the piece that remove it very much from a performance with live interaction between musicians, it is still very much a duo piece due to its inherently collaborative character. All artefacts occurring during the process, including electromagnetic interference and incoming calls on the mobile phone, became part of the process. Each iteration of Elisabeth’s input is marked by the sample ‚wieder und wieder / again and again‘ (her voice comes first), the iterations of my input are introduced by ‚again and again / wieder und wieder‘ (my voice comes first). In a marked difference to Lucier’s approach, the material from the individual iterations is selected based on compositional decisions that have to do with musical timing, but might also be related to the ‚atmosphere‘ or ‚feel‘ of the pandemic. Based on this as well as on the material used, the piece could also be called Augsburg/Ulm Memory Space or Pandemic Time Capsule, because it tries to capture how it felt (and what it sounded like) to work over distance out of the involuntary isolation of the pandemic. Radio, as the first ‚remote presence‘ medium in history, provides the ideal framework for exploring this new situation we’re finding ourselves in. After all, radio has always been about that space between intimacy and distance, signal and noise, that we’re now grappling with in newer media. – Gerald Fiebig
Fräulein Tönchens Musikkoffer (Folge 32: Musik und Geräusche)
Heute knackt’s und rauscht’s, fiept’s und piepst’s im Koffer. Fräulein Tönchen sperrt die Ohren auf und entdeckt gemeinsam mit ihrem Gast Gerald Fiebig jene Musik, die uns immer und überall umgibt. Gerald ist Klangkünstler und fängt die Klänge unseres Alltags mit seinen Mikrofonen ein.
Siteworks – sound installations 2009 – 2018
„Siteworks“ documents most of the installations and ‚constructed situations‘ Gerald Fiebig realised as a solo artist in gallery, museum, and public spaces between 2009 and 2018.
Joint free download release of attenuation circuit and gebrauchtemusik.
Includes PDF booklet with extensive info on the installations.
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„Siteworks“ dokumentiert die meisten der Installationen und „konstruierten Situationen“, die Gerald Fiebig als Solokünstler zwischen 2009 und 2018 in Galerien, Museen und im öffentlichen Raum realisiert hat.
Gemeinsame Veröffentlichung von attenuation circuit und gebrauchtemusik.
Inklusive PDF-Booklet mit Informationen zu den Installationen.
Janko Hanushevsky & Gerald Fiebig: Audio Letters
46-minute radiophonic composition
Original broadcast on the programme „RadioArt106“ presented by Meira Asher on the following stations:
radio RaBe (Bern, Switzerland) – 8.2.21 – 11pm CET (23:00 MEZ)
USMARADIO (San Marino) – 9.2.21 – 8pm CET (20:00 MEZ)
Chimeres (Athens, Greece) – 16.2.21 – 7pm CET (19:00 MEZ)
reboot.fm (Berlin, Germany) – 28.2.21 – 10pm CET (22:00 MEZ)

Deutscher Text: siehe weiter unten
Concept
The ongoing history of modernity is a history of acceleration through means of transport and communication. Devices like the telephone, radio, television, and eventually the internet enable the exchange of information in real time. The letter, however, much ridiculed nowadays as ’snail mail,‘ involved an interval of days or weeks between the writers‘ respective utterances.
In the history of modern music, the issue of acceleration through the evolution of media has left yet another trace. The possibility of storing sound directly via phonography has accelerated the trajectory from idea to audible performance and distribution of a work because a written score has stopped being a structural necessity. Since the invention of the phonograph, the position of the composer as a writer of sheet music has become a precarious one. This ontological precariousness has led to reactions such as ostentatiously elaborating scores into (calli-) graphical objects of visual art, but also to an extreme aversion, shared by thinkers as different as Adorno and Cage, against improvised musics that were never based on writing in the first place.
These two historical developments are currently converging. Increasing internet bandwiths and social media imply a tendency towards permanent real-time communication across all media, and physical recording media are fighting a rear guard battle which they are going to lose. Advocates of file sharing on the one side and the music industry on the other side seem to agree on this point, even while holding different views on whether this is a good or a bad thing. This point in the history of music and media suggests a critical review of earlier practices in order to open up new perspectives and alliances. Therefore, Audio Letters explores the intersections and fuzzy areas between improvisation and composition in music, but also those between acceleration and slowing down, between digital and analogue means of communication in our culture at large.
Realisation
The method of the piece is driven by the fact that both authors consider freely improvised performance, which means real-time interaction in the case of several participants, an important part of their work. The premise of free improvisation also forms the basis for this piece, namely that conception and performance coincide and are not preceded by a phase of composition and notation. Thanks to internet technologies that have gained particular importance during the COVID-19 pandemic, such as video conferencing tools, real-time interaction would actually be possible even with the authors living and working in different cities. But this aspect of free improvisation is deliberately ’switched off‘ in a kind of self-experiment in which the authors aim to find out how this changes their musical sensibilities and modus operandi.
In many quarters of sonic art, reflexion on the current media shift leads many labels to increasingly (or should one say ‚for one last time?‘) release cassette tapes. This pays tribute to a medium which – beginning with 1960s Fluxus-inspired mail art and the experimental tape underground, helped along and (again) accelerated into the 1980s by the introduction of four-track cassette recorders in 1979 – made an important contribution to formulating an artistic vision of global networking and musical cooperation over great distances that has now become a common practice thanks to the internet.
Audio Letters, however, addresses the prehistory of today’s communication not through the analogue medium of cassette tape, but through the analogue channel of surface mail. It is by surface mail that a USB stick with digital recordings of music is sent back and forth between the authors. The creation of the piece begins with a sequence of about four minutes‘ duration, improvised by one of the authors. The correspondent then overdubs an equally improvised response and sends it back. Now it is the first correspondent’s turn to improvise a response to the overdubbed track, and so forth.
Thus, each improvised sequence (except the first and the last) appear twice in the piece, but each time in a different role. In its first appearance, it is a response to what preceded it. In its second appearance it is a proposal that prompts a response. And all the musical interactions we hear are interactions in real time, because no matter how long the interval between the recording of a track and its overdub, the overdub is always improvised over the playback in one take. This shares many characteristics with communication through letters: Whenever we re-read a letter, we actualise its content in the real-time operation of our minds. The fact that one and the same sequence appears in two very different roles in Audio Letters brings into play the trade-off between remembering and forgetting that is typical of the long communication routes involved in surface mail. Each new musical statement needs to refer back to a previous statement by the correspondent – or choose to initiate a completely new theme. When it comes to presenting the explorations undertaken by these Audio Letters, radio is the perfect medium. This is not only because, as an acoustic medium, radio has a special affinity to music. More importantly, radio historically was the earliest among today’s real-time media. As such, it pioneered the formulation of an aesthetics of technological media. With internet-based formats such as online audio archiving, podcasts and other forms of radio on demand, radio today explores the potential of hybridising real-time with asynchronous communication similar to what the Audio Letters themselves do. (And RadioArt106 is, in many ways, at the cutting edge of some of these developments, so it seems a particularly suitable programme to premiere this piece.)
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Konzept
Die fortdauernde Geschichte der Moderne ist eine Geschichte der Beschleunigung durch Verkehrs- und Kommunikationsmittel. Apparate wie Telefon, Radio, Fernsehen und schließlich das Internet ermöglichen Informationsaustausch in Echtzeit, wo früher der heute als „Schneckenpost“ belächelte Brief dafür sorgte, dass Tage oder Wochen zwischen den Repliken der Schreiber vergingen.
In der Geschichte der modernen Musik hat das Thema Beschleunigung durch Medienwandel noch eine andere Spur hinterlassen. Die Möglichkeit der direkten Speicherung von Klang durch die Phonographie hat das Tempo von der Idee zur hörbaren Aufführung und zur Verbreitung des Werks beschleunigt, weil der Umweg über die geschriebene Partitur strukturell verzichtbar geworden ist. Seit es den Phonographen gibt, ist die Stellung des Komponisten als Verfasser von Notenliteratur eine prekäre geworden. Die demonstrative Aufwertung vieler Partituren zu (kalli-) grafischen Bildkunstobjekten, aber auch die heftige Abwehr gegen improvisierte, nicht auf Schrift angewiesene Musik bei so unterschiedlichen Denkern wie Adorno und Cage ist ein Ausdruck dieses ontologischen Prekariats.
Diese beiden historischen Stränge laufen derzeit zusammen. Wachsende Internet-Bandbreiten und soziale Netzwerke implizieren eine Tendenz zur permanenten Echtzeitkommunikation über alle Medien, und der physische Tonträger als Massenmedium ist – darin scheinen sich, bei aller gegensätzlichen Bewertung des Sachverhalts, Filesharing-Befürworter und Musikindustrie einig zu sein – in einem Rückzugsgefecht begriffen, bei dem es nicht mehr darum geht, ob er es verlieren wird, sondern nur noch wann. In dieser musik- und mediengeschichtlichen Situation scheint ein kritischer Rückblick angebracht, um neue Perspektiven zu eröffnen. Deshalb erforscht die Arbeit Audio Letters in einer Reihe praktischer Versuche das musikalische Spannungsfeld von Improvisation und Komposition, zugleich aber auch das weitere kulturelle Spannungsfeld von Be- und Entschleunigung, digitalen und analogen Kommunikationswegen.
Umsetzung
Das Verfahren des Stücks ergibt sich aus der Konstellation der beiden Autoren, die in ihrer Arbeit als Performer beide der freien Improvisation verpflichtet sind, im Fall von mehreren Spielern also der Echtzeit-Interaktion. Die improvisatorische Prämisse, dass Konzeption und Aufführung zusammenfallen, die vorangehende Stufe der Komposition und Notation also entfällt, wird auch diesem Stück zugrundegelegt. Mittels Technologien wie Videokonferenz-Tools, wie sie während der COVID-19-Pandemie besonders wichtig wurden, wäre ein Echtzeit-Zusammenspiel der in unterschiedlichen Städten lebenden und arbeitenden Autoren via Internet realisierbar gewesen. Dieser Aspekt wurde aber bewusst ausgeschaltet, um im Selbstversuch zu erproben, ob bzw. wie sich musikalische Sensibilitäten und Aktionsmuster dadurch verändern.
In anderen Kreisen der Audiokunstszene führt die Reflexion des derzeitigen medialen Wandels dazu, dass viele Labels vermehrt wieder (oder sollte man sagen: „ein letztes Mal“?) Kassetten veröffentlichen und damit einem Medium Ehre erweisen, das im Zuge von Bewegungen wie der vom Fluxus-Umfeld inspirierten Mail Art und dem experimentellen Tape-Underground seit den 1960er-Jahren und dann vor allem, verstärkt (und wiederum: beschleunigt) durch die Markteinführung des Vierspurkassettenrecorders 1979, ab den 1980er-Jahren, wesentlich dazu beitrug, die weltweite Vernetzung und musikalische Kooperation über große Distanzen als künstlerische Vision zu formulieren, die heute durch das Internet gängige Praxis geworden ist.
Die Audio Letters hingegen nähern sich der Vorgeschichte unserer heutigen Kommunikation nicht vom analogen Medium Kassette, sondern vom analogen Kanal Briefpost her, über den ein USB-Stick mit digitalen Musikaufnahmen zwischen den Autoren hin und her geschickt wird. Die Entstehung des Stücks beginnt mit einer etwa vierminütigen improvisierten Sequenz von einem der Autoren. Der Briefpartner improvisiert darüber im Mehrspurverfahren eine Antwort und schickt diese zurück. Nun ist es an Briefpartner 1, in derselben Weise eine Antwort zu formulieren usf.
Jede improvisierte Sequenz – bis auf die erste und die letzte – kommt also innerhalb des Stücks zweimal vor, aber in zwei unterschiedlichen Funktionen. Sie hat also eine doppelte Funktion, sie ist immer sowohl Antwort auf ein Vorangegangenes wie Aufforderung zu einer Erwiderung. Das hat sie mit E-Mails ebenso gemeinsam wie mit Briefen. Dass ein und dieselbe Sequenz im Stück Audio Letters jedoch in zwei ganz unterschiedlichen musikalischen Bezügen auftauchen kann, bringt zusätzlich die Dialektik von Erinnern und Vergessen ins Spiel, die typisch ist für die langen Kommunikationswege der Briefpost: Jedes neue musikalische Statement muss dem Partner seine vorangegangene Aussage noch einmal ins Gedächtnis rufen – oder ein ganz neues Thema eröffnen.
Das Radio ist das ideale Medium für die Präsentation der Forschungen, die der Audiobrief anstellt – nicht nur, weil es als Audiomedium eine besondere Affinität zur Musik hat. Entscheidender ist, dass das Radio historisch gesehen das älteste unter den heutigen Echtzeitmedien ist und daher Pionierarbeit für die Herausbildung einer Ästhetik technologischer Medien geleistet hat. Durch internetbasierte Audioarchive, Podcasts und andere Radio-on-Demand-Formate lotet das Radio heute aber auch das Potenzial aus, das in einer Verzahnung von Echtzeit-Formaten und asynchroner Kommunikation besteht – ganz ähnlich wie die Audio Letters selbst. (Die Sendung RadioArt106 ist hierbei durch ihre multiplen Ausspielungen auf mehreren terrestrischen und webbasierten Sendern sowie ihr zeitlich unlimitiertes Mixcloud-Archiv in mehrfacher Hinsicht wegweisend und daher ein besonders geeigneter Sendeplatz für die Ursendung dieses Stücks.)
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